In der amerikanischen Basketball-Profiliga NBA (National Basketball Association) hat sich die systematische Datenanalyse durchgesetzt. Alle Spielarenen sind mit Technik ausgestattet, um jede Bewegung auf dem Spielfeld zu messen. Auch abseits des Spielfelds sind die Einsatzbereiche vielfältig. Ein Gespräch mit dem führenden deutschen NBA-Experten André Voigt über den Einfluss von Analytics auf den Basketballsport.
Herr Voigt, in welchen Bereichen beeinflusst Analytics die NBA?
André Voigt: Ich wüsste gar nicht wo Analytics inzwischen keinen Einfluss hat. Mit neuen Technologien wie SportVU oder Catapult können heute sehr viele Daten erhoben werden: Training, Ernährung, Schlaf und Advanced Stats. Wir bewegen uns in Richtung gläserner Athlet. Treibende Kraft sind die Teams, aber teilweise auch die Spieler und deren Agenten. Alle wollen die Leistungen der Spieler optimieren, Analytics hilft dabei.
Die aktuelle Saison bietet viele Rekorde: die geringste Ballverlustrate, sehr hohe Wurfquoten. Ist man heute allgemein professioneller als noch in den 80er oder 90er Jahren?
André Voigt: Auf jeden Fall. Das war in den Achtzigern noch eine ganz andere Geschichte, mit Zigaretten in der Halbzeit und so weiter. Dirk Nowitzki erzählte mir mal, dass als er 1998 in der NBA anfing, in jedem Team noch ein paar Spieler waren, die keine wirklichen Basketball-Skills, sondern nur spezielle Aufgaben wie zum Beispiel Rebounding hatten.
Grundsätzlich gibt es heute eine komplett andere Trainingsmethodik. Spieler werden zwölf Monate im Jahr getrimmt und viel ganzheitlicher trainiert. Auch die großen Spieler sollen heutzutage von außen schießen können, eventuell sogar ein bisschen dribbeln. Basketballerisch sind die Spieler im Schnitt wesentlich versierter. Technologischer Fortschritt hilft. Früher musste man Bücher kaufen oder auf Lehrgänge fahren. Heute kann man im Internet mit einem Mausklick wahnsinnig viele Informationen abrufen.
André Voigt ist einer der bekanntesten deutschen Basketballjournalisten. Als Spieler schaffte er es bis in die 2. Bundesliga, später war er als Trainer aktiv (rechts im Bild). Heute ist er unter anderem Chefredakteur der Zeitschrift Five und Host des beliebten NBA-Podcast „GotNexxt".
„Wenn heute 25 von 30 Teams den gleichen Basketball spielen, ist das meines Erachtens eine negative Folge von Analytics.“
Können Sie einige konkrete taktische Auswirkungen von Analytics nennen?
André Voigt: Eine eindeutige Entwicklung, die mit Analytics zusammenhängt, ist die Tendenz mehr und mehr Dreier zu schießen (siehe Grafik 1). Das hängt mit einem recht einfachen Rechenspiel zusammen: man kann Dreier mit einer schlechteren Quote treffen und trotzdem unterm Strich mehr Punkte erzielen. Extrembeispiel hierfür sind die Houston Rockets, die versuchen ihr komplettes Spiel auf die drei effizientesten Abschlussarten Dreier, Freiwurf und Korbleger auszurichten (siehe Grafik 2+3).
Die spannende taktische Frage ist, wie man an freie Dreier oder zum Korbleger kommt. Momentan hat sich eine gewisse Spielweise in der NBA etabliert: viel Pick-and-Roll und Schützen an der Dreierlinie. Die Golden State Warriors spielen als effizientestes Angriffsteam jedoch anders (siehe unten). Die taktische Entwicklung dürfte künftig weiter in diese Richtung gehen.
Eine weitere eindeutige Folge von Analytics ist, dass Spieler heutzutage im Laufe einer Saison mehr geschont und ihre Einsatzzeiten reguliert werden, um Überbelastung und Verletzungen vorzubeugen.
Der Dreier wurde schon 1979 eingeführt. Warum kommt die Erkenntnis so spät?
André Voigt: ich denke die Erkenntnis war schon früher teilweise da. Sie wurde aber von den alteingesessenen Trainern und Verantwortlichen abgelehnt, der Mehrwert von Analytics bezweifelt. Es ist eine geschlossene Welt. Die Vereine werden meist von älteren Leuten geführt. Noch hatte niemand demonstriert, dass es funktioniert. Erste Versuche, zum Beispiel 1990 von Paul Westhead in Denver, scheiterten und wurden verlacht.
Man muss aber auch bedenken, dass die Regeln damals noch etwas anders waren. Es gab weniger Freiräume als heute und es fehlte teilweise sicherlich auch das passende Spielerpersonal. Einige Trainer lehnen Analytics heute noch ab.
Grafik 1: Anteil von Drei-Punkt-Würfen an allen Feldwurfversuchen seit 1979 in der NBA in Prozent. Heute ist fast jeder dritte Feldwurf ein Dreier. (Daten auf Basis von basketball-reference.com)
„Die NBA ist keine Sportliga, sondern eher eine Zusammenkunft von mittelständischen Unternehmen.“
Wird der Einfluss von Analytics eventuell überhöht?
André Voigt: Das finde ich nicht. Anfang der 2000er haben die Phoenix Suns mit dem jetzigen Coach der Houston Rockets, Mike D'Antoni, allen gezeigt, dass es funktioniert. Zur gleichen Zeit fand die Advanced Stats Revolution statt. Einige Journalisten und Privatpersonen haben eigenständig Methoden entwickelt, um gewisse Thesen mit Advanced Stats zu untermauern. Das hat die Aufmerksamkeit der Teams geweckt und diese Leute fanden Anstellung bei NBA-Clubs.
Dabei muss man bedenken, dass die NBA von 30 Teambesitzern geführt wird, die vorher schon Millionäre waren. Die Teams sind oft so etwas wie ihr Spielzeug. Außerdem ist die NBA keine Sportliga, sondern eher eine Zusammenkunft von mittelständischen Unternehmen. Die suchen nach Wettbewerbsvorteilen.
Jetzt kommen noch Tracking und weitere Technologien dazu. Das ist ein unglaublicher Wust von Daten, der dabei hilft, Basketball besser zu verstehen. Die Schlüsse, die man daraus gezogen hat, sieht man jetzt in der Umsetzung. Und die Entwicklung geht weiter. Die Ausbildung wird sich eventuell ein bisschen verändern und es wird weitere Erkenntnisse geben, die man noch nicht absehen kann.
Ich glaube man kann den Einfluss von Analytics nicht überhöhen, denn ohne SportVU und ohne Advanced Stats hätte es diese Entwicklungen gar nicht, oder zumindest nicht so flächendenkend und so rasant, gegeben.
Grafik 2: Wurfauswahl Houston Rockets im Vergleich mit den Detroit Pistons in der Saison 2016-2017. Houston versucht sein komplettes Spiel auf die drei effizientesten Abschlussarten Dreier, Freiwurf und Korbleger auszurichten (Quelle: nbasavant.com).
„Analytics wurde von den alteingesessenen Trainern und Verantwortlichen abgelehnt, der Mehrwert bezweifelt.“
Sind Sie also ein „Analytics-Jünger"?
André Voigt: Das würde ich nicht sagen. Ich versuche Analytics so gut es geht zu verstehen. Aber ich glaube wir sind hier immer noch am Anfang der Entwicklung. Teilweise fehlt mir da auch die Kreativität. Wenn heute 25 von 30 Teams den gleichen Basketball spielen, ist das meines Erachtens eine negative Folge von Analytics. Früher gab es da mehr Variationen. Ich werfe Analytics vor, dass es vielen anscheinend das Denken abnimmt. Man sollte mehr fokussieren, was man eventuell besser oder anders machen kann als die erfolgreichen Teams.
Wenn man mehr über das Spiel lernen und erfahren kann, finde ich Analytics gut. Die Schlüsse die daraus gezogen werden, sind momentan nicht optimal.
Wo stößt Analytics an seine Grenzen?
André Voigt: Basketball wird von Menschen gespielt. Man kann nicht ermessen oder kalkulieren, wie sehr die Leistungsfähigkeit des Teams leidet, wenn beispielsweise der Star ein Stinkstiefel ist oder das ganze Team aus jungen, unerfahrenen Spielern besteht, die eventuell Drucksituationen nicht gewachsen sind. Deshalb sind Trainer, Assistenten und Manager mit guten Menschenkenntnissen gefragt und überaus wichtig. Ich persönlich wäre froh, wenn das nie komplett erschlossen wird. Sport soll ja kein reines Rechenbeispiel sein.
Die Zahlen stoßen immer wieder an ihre Grenzen. Deshalb sieht man zur Zeit diese zweite Welle. Viele Teams rüsten noch mal die Analytics-Abteilung auf, weil sie wissen, dass sie hier noch viel mehr verstehen müssen.
Grafik 3: Drei-Punkt-Wurfversuche pro Spiel Houston Rockets im Vergleich mit dem Ligadurchschnitt. Die Liga schießt immer mehr Dreier. Houston treibt diesen Trend auf die Spitze (Daten auf Basis von basketball-reference.com).
Wie bewerten Sie das aus der Sicht des ehemaligen Spielers?
André Voigt: Natürlich war das damals nicht mit heute vergleichbar. Uns wurden ein paar grundsätzliche Tendenzen gesagt: Der schießt viel, der kann keine Freiwürfe. Aber man kann sich zehnmal den Wurfchart seines Gegenspielers anschauen und wissen, dass er von links schlechter trifft als von rechts. Wenn er ihn dann in der entscheidenen Situation trotzdem von links reinmacht, hat einem das nicht geholfen.
Ein mündiger NBA-Spieler muss sich mit den Advanced Stats auseinandersetzen, um sich eine Vorteil zu verschaffen. Aber richtig tief geht das meiner Meinung nach gar nicht. Man muss ja alles auch auf dem Spielfeld umsetzten können. Das Spiel ist extrem schnell, da kann man nicht kurz innehalten und überlegen, schießt der lieber von da oder da? Da wäre man überfordert.
Das Teamkonzept muss auf Analytics gegründet sein, aber immer mit dem Blick auf den Basketball. Ich glaube viele Fans, die in Foren oder Blogs Zahlen wälzen, vergessen das manchmal.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Voigt!
gotNexxt Basketball-Podcast
Five Basketball-Magazin
Best-of-Class
André Voigt erklärt die effiziente Offensive der Golden State Warriors: Sie nehmen kaum Abschlüsse direkt aus dem Blocken-und-Abrollen, sondern aus den dann folgenden Aktionen. Sie stellen mit Abstand die meisten Blöcke abseits des Balles, führen die Liga bei den Körben nach Cuts an. Das hängt natürlich zu einem großen Teil mit Stephen Curry, Klay Thompson und Kevin Durant zusammen, die zu den besten Dreierschützen der Liga gehören. Es fällt aber auf, dass sie diese sehr effizienten Abschlussarten suchen, die andere Teams nur selten nutzen, um im Rücken der Verteidigung zu punkten.
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