Big Data Analytics – Tagesgeschäft in der NBA

Big Data Analytics – Tagesgeschäft in der NBA

Sensordaten, Bildanalyse und Rechenspiele prägen den US-Profibasketball auf und neben dem Platz.

27.03.2017, Autor: Axel Bange

Viele deutsche Unternehmer würden beim Anblick der Analytics-Abteilung der Philadelphia 76ers wahrscheinlich vor Neid erblassen. Die Basketballmannschaft der US-Profiliga NBA (National Basketball Association) beschäftigt insgesamt neun Datenanalysten, darunter zwei Data Scientists. In der NBA ist Philadelphia damit zwar Vorreiter, aber nichts Besonderes. Jedes der 30 Teams hat eine Analytics-Abteilung. „Analytics beeinflusst in der NBA eigentlich alles: Training, Ernährung, Schlaf, Advanced Stats - man bewegt sich in Richtung gläserner Athlet“, erklärt NBA-Experte André Voigt (lesen Sie hier das komplette Interview). Big Data Analytics ist in der NBA zum Tagesgeschäft geworden.

 

Technologie

Dass die US-Profisportligen Analytics bereitwillig einsetzen, überrascht nicht. Die amerikanische Sportszene ist traditionell statistikverliebt. Neue technische Möglichkeiten haben in den letzten Jahren zu bahnbrechenden Veränderungen auf und neben dem Platz geführt. 

Advanced Stats: Die ersten Einsatzbereiche von Analytics im Basketball waren Rechenspiele, um den bereits vorhandenen Spieldaten von Spielern und Teams wie Punkte, Vorlagen oder Ballverluste mehr Aussagekraft geben zu können. Dazu wurden Kennzahlen wie „Effektivität“ (Efficiency Rating) oder „Real +/-“ entwickelt. Sie berücksichtigen verschiedene Variablen, um Leistungen von Spielern besser vergleichen zu können. 

Bildanalyse in Echtzeit: Seit 2010 sind alle Spielarenen der NBA mit Kameras ausgestattet, die mit einer Rate von 25 Bildern pro Sekunde in Echtzeit alle Bewegungen der Spieler und des Balles erfassen (siehe Video 1). Die Daten werden allen NBA-Teams zur Verfügung gestellt. So erhalten sie ausführliche Statistiken, wie Spieler- und Ballposition, Geschwindigkeit oder zurückgelegte Distanz und somit wichtige Erkenntnisse und Analyseansätze. (SportVU Homepage)

Sensordaten/Wearables: Im Training werden die Spieler mit Sensoren ausgestattet. Zusätzlich können mit Wearables rund um die Uhr die wichtigsten Gesundheitsdaten erhoben werden. Aus beiden Datenquellen erhalten die Teams Erkenntnisse zu Fitness, Verschleiß und Verletzungsrisiken von Spielern. Der Basketball-Bundesligist BG Göttingen setzt, wie viele NBA-Teams, das System Catapult ein. Sebastian Junge, Reha-Trainer von Göttingen, erklärt: „Wir messen im Training zum Beispiel Werte wie Herzfrequenz oder wie intensiv beschleunigt oder abgestoppt wird. Unser wichtigster Kennwert ist die „Player Load“ - ein Parameter der die muskuloskelettale Belastung zeigt. Sie gibt uns sehr gute Informationen über die Trainingsintensitäten und ermöglicht uns so eine gezielte Belastungssteuerung im Verlauf von Wochen, Monaten und der gesamten Saison. In unserem Leistungszentrum nutzen wir für die Reha und das (Agilitäts-)Training unter anderem Bodenreaktionsplatten im „SpeedCourt“. Damit können wir auch im Rehaprozess wichtige Kennwerte noch besser überwachen.“ (Weitere Infos hier / siehe Video 2).

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Video 1: Bildanalyse in Echtzeit - SportVU in Aktion.

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Video 2: Bodenreaktionsplatten und andere Methoden zur Überwachung der Spieler-Fitness.

Drei Punkte für ein Halleluja

Im Jahr 1979 führte die NBA den Drei-Punkt-Wurf ein. Er sollte besonders weite Würfe mit dem Extrapunkt belohnen und das Spiel für Zuschauer unterhaltsamer machen. Wie weitreichend diese Änderung sein würde, sollte sich aber erst Jahre später herausstellen. „Eine eindeutige Entwicklung die mit Analytics zusammenhängt ist die Tendenz mehr und mehr Dreier zu schießen. Das hängt mit dem recht einfachen Rechenspiel zusammen: man kann Dreier mit einer viel schlechteren Quote treffen als Zweier und trotzdem unterm Strich mehr Punkte erzielen“, erläutert André Voigt (siehe Grafik 1). Die Erkenntnis, dass man mit Analytics Wettbewerbsvorteile erzielen kann, sickerte jedoch nur langsam bis zur letzten Mannschaft durch. André Voigt: „Sie wurde aber von den alteingesessenen Trainern und Verantwortlichen abgelehnt, der Mehrwert von Analytics bezweifelt. Es ist eine geschlossene Welt. Die Vereine werden meist von älteren Leuten geführt. Noch hatte niemand demonstriert, dass es funktioniert.“

Inzwischen sind bei einigen NBA-Teams jüngere Besitzer am Ruder, die teilweise einen IT/Silicon Valley Hntergrund haben. Teambesitzer wie Mark Cuban (Dallas Mavericks) oder Daryl Morey (Houson Rockets) forcieren von sich aus Analyticsmaßnahmen. Morey hat das Ganze in Houston sogar auf die Spitze getrieben und lässt sein Team fast ausschließlich Dreier und Korbleger werfen, da dies laut Analytics die effektivsten Scoringmethoden im Basketball sind.

Grafik 1: Anteil Dreier an allen Feldwürfen in der NBA 1979 - 2017 - rasanter Anstieg seit 2011. Diese Saison ist fast jeder dritte Wurf ein Dreier. (Daten auf Basis von Basketball-Reference.com)

Grenzen von Analytics

Philipp Köchling verantwortet als Co-Trainer der Basketballer des FC Bayern München unter anderem die Gegner-, Spiel- und Taktikanalyse. Dazu nutzt er auch verschiedene Analysetools. Dennoch sieht er Analytics nur als einen Baustein zum Erfolg, der Limiterungen hat: „Letztendlich ist das Spiel zu komplex und es geht auch um die Qualität der eigenen Spieler. Eine Mannschaft wie Golden State (Meister 2015, Vize-Meister 2016 Anm. d. Red.) mit überragenden Dreier-Schützen wie Stephen Curry und Klay Thompson kann das eventuell machen... Wir wollen, dass unsere Spieler gute, freie Würfe nehmen, nicht solche die irgendwelche Analysetools errechnen... Basketball ist ein sehr emotionaler Sport. Da geht es nicht nur um Zahlen und Werte, sondern auch viel um Herz, Einsatzbereitschaft und mentale Stärke.“ (Lesen Sie das komplette Interview hier)

Der ehemalige Basketballer und NBA-Experte Voigt meint: „Man kann nicht ermessen oder kalkulieren, wie sehr die Leistungsfähigkeit des Teams leidet, wenn beispielsweise der Star ein Stinkstiefel ist oder das ganze Team aus jungen, unerfahrenen Spielern besteht, die eventuell Drucksituationen nicht gewachsen sind. Deshalb sind Trainer, Assistenten und Manager mit guten Menschenkenntnissen gefragt und überaus wichtig. Ich persönlich wäre froh, wenn das nie komplett erschlossen wird. Sport soll ja kein reines Rechenbeispiel sein.“

Natürlich wird nichts unversucht gelassen, auch diese zwischenmenschlichen oder charakterlichen Fähigkeiten zu messen. So gibt es „Clutch“ Statistiken, die zeigen sollen, wie Spieler in Drucksituationen funktionieren oder das recht skurile Beispiel der Phoenix Suns: dort zählte man die „High-Fives“ um die Teamchemie bewerten zu können.

Ein Zusammenspiel von Analytics, Technik, Taktik und mentalen Faktoren

In der deutschen Basketball Bundesliga (BBL) ist die Situation grundsätzlich anders. André Voigt: „Viele Teams nutzen die Daten von Synergy Sports. Es stand mal im Raum, dass SportVU kommen soll. Das ist natürlich eine finanzielle Frage. Ich persönlich glaube, dass die meisten Vereine nicht bereit sind dafür zu zahlen.“ In Bezug auf Spieltaktik gibt es auch in der BBL ein paar Anhänger: „Ulm setzt ganz offensichtlich auf Analytics. Trainer Thorsten Leibenath ist ein großer Verfechter. Bamberg mit ihrem Trainer Andrea Trinchieri sind ein weiteres Beispiel. Bei einigen anderen Teams scheint Analytics keine großen Einfluss auf die Spieltaktik zu haben.“, erklärt Voigt.

Dr. Thomas Stoll, Sportlicher Leiter und Geschäftsführer ratiopharm ulm, sieht zumindest bei der Suche nach neuen Spielern „Advanced Stats“ als nebensächlich. Auf die Frage welche Rolle solche Statistiken spielen, antwortet er: „Gar keine. Das ist zur Zeit große Mode und ich schaue mir diese neusten Erkenntnisse auch gerne mal an, aber wir haben noch nie nach Statistiken – egal wie gut die sind – Spieler verpflichtet. Die NBA investiert sehr viel in solche Bereiche, aber auch da sieht man das Ganze nicht als den großen Heilsbringer.“

Bayern München hat vor Kurzem seine Zusammenarbeit mit SAP auch auf den Basketballbereich ausgeweitet (siehe Video 3). Für Bayern-Trainer Köchling ist Analytics Mittel zum Zweck. „Ein Makel des amerikanischen Basketballs ist für meinen Geschmack, dass alles auf die Zahlen reduziert wird und deshalb eigentlich zu viele Daten erhoben werden. Die helfen uns Praktikern nicht alle... Analytics steht immer im Zusammenspiel mit Taktik, Technik und mentalen Faktoren. Man kann nicht einen Wert losgelöst nehmen, denn es gibt immer einen Kontext. Taktik funktioniert nicht ohne Technik, Technik nicht ohne Taktik. Das Ganze funktioniert nur mit Menschen und Menschen haben Emotionen sowie physische und mentale Stärken und Schwächen. Daraus ergeben sich dann Statistiken.“

Analytics-Anbieter in der NBA (Auswahl)

  • Synergy Sports
    Synergy Sports bietet einen Datenservice für die NBA, BBL und weitere Basketball-Ligen. Benutzer können auf umfangreiche Spieldaten über Berichte und benutzerdefinierte Abfrage-Tools zugreifen. Diese sind mit entsprechenden Videoclips verknüpft. Homepage
  • Catapult
    Catapult entwickelt Wearables für Athleten, mit denen alle wichtigen Gesundheitsdaten überwacht werden können. In der NBA haben viele Teams Catapult im Einsatz, in der BBL zum Beispiel Göttingen. Auch Fußballbundesligisten wie Mainz oder der BvB nutzen Catapult. Homepage

  • SportVU
    Seit 2010 sind alle Spielarenen der NBA mit Kameras ausgestattet, die mit einer Rate von 25 Bildern pro Sekunde in Echtzeit alle Bewegungen der Spieler und des Balles erfassen (siehe Video 1). Homepage

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Video 3: FC Bayern München kooperiert auch im Basketball mit SAP.

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